Kurztrip: Travemünde / Molfsee (Kiel)
Intention
Nach längerer Zeit wollten Martin und ich mal wieder unsere Schmiedemeister, die Isentosamballerer, in Molfsee (bei Kiel) überfallen. Als Termin haben wir Anfang Mai das, mit Brückentag, lange Wochenende genutzt um einen harmlosen Männerkurztrip zu unternehmen.
Die Fahrt
Abreisetag ist der Freitag, da bestimmt alle schlauen Leute schon Donnerstags losfahren, weil man dann je mehr vom Wochenende hat. Wir wollen gegen den frühen Abend so gegen 18:00 Uhr eintreffen. Als Fahrzeit planen wir sieben Stunden ein. Losfahren müssen wir also gegen 11:00, d.h. um 10:00 Uhr wird gemütlich gefrühstückt. Ein Plan mit genialer Einfachheit. Leider haben wir unsere Disziplinlosigkeit nicht mit einfließen lassen. Deshalb kommen wir erst gegen 13:00 Uhr auf die Straße. Macht nichts – dann muss man eben weniger Zeit im Stau vertrödeln. Die Fahrt ist bei bedecktem Wetter schnörkellos und geradeaus. Wir treffen tatsächlich sogar nach ca. fünf Stunden um 18:00 Uhr ein. Jetzt strahlt sogar die Sonne vom blauen Himmel.
Der Check-in
Wir biegen vor dem Hotel Tit Atlantic auf die Zufahrt der sechs Stellplätze ein. Der Linkeste ist frei, danaben steht ein schöner Volvo. Wie leider viel zu oft bestätigt sich das Vorurteil, dass ein bestimmter Menschenschlag gerne viel Blech um sich hat. Gerne auch verbal, hier aber real. So aus reinen Sicherheitsüberlegungen heraus. Weil man dauernd hört, dass es so viele schlechte Fahrer geben soll. Raser, oder unsichere, vielleicht sogar ängstliche, Menschen. Und weil die Abmessungen so einer fahrenden Knautschzone leicht unübersichtlich werden, hält man auf dem Stellplatz besser etwas mehr Abstand zum rechten Nachbarn. Kurz gesagt: Unser Stellplatz ist knapp bemessen. Aber mit zwei mal kurbeln überhaupt kein Problem. Ein solches sieht eher die Rezeptionistin, die nach wenigen Augenblicken oben auf dem zehnstufigen Aufgang erscheint.
„Haben Sie genug Platz?“, fragt sie, meint aber, „Machen Sie bloß keinen Kratzer an den Volvo!“
„Das hat noch immer gepasst!“, ist unsere schmissige Antwort.
Die Antwort macht sie nicht glücklich, aber nervös. – Mission erfüllt.
Wir klauben das nötigste Gepäck aus dem Auto und hüpfen die paar Treppenstufen bis zum Eingang hinauf. Inzwischen erwartet man uns an der Rezeption. Nach der Fahrt wollen wir jetzt erstmal einchecken, die Taschen aufs Zimmer bringen und was essen gehen. Die Zimmer müssen wir vorab bar bezahlen. Eine Möglichkeit für EC Kartenzahlung gibt es nicht. Wir bekommen unsere „Club“ (Kur) Card für den Strand, sowie die Zimmerschlüssel mit dem Hinweis, dass wir den nicht vergessen sollen, denn ab 22:00 Uhr ist die Eingangstüre zu. Offensichtlich scheint es Leute zu geben, die ohne Schlüssel das Hotel verlassen. Das bedeutet ja auch, dass sie ihre Zimmer nicht abschliessen. – Diesen Leichtsinn in Tüten soll verstehen wer will.
Martin bekommt das ehemalige Roy Black Zimmer. Wir müssen uns das Lachen, ob dieses Feingefühls, schon sehr verkneifen.
Wir wollen schon auf die Zimmer gehen, da werden wir gefragt, ob wir uns im Ort schon auskennen, ansonsten könnte sie uns Restaurantempfehlungen geben. Martin war schon mal da, aber wir wollten ja nicht unhöflich sein. Also ließen wir sie mal loslegen. Es folgten drei Empfehlungen im Ort und besonders, wenn auch etwas weiter zu gehen, den Fischereihafen, in dem man besonders gut Fisch essen könne. Das sollte so in etwa, pi mal Daumen, zwei Kilometer weit weg sein. Sie gestikuliert dabei in Richtung Strand und Richtung Westen.
Dieses Detail wird uns im weiteren Verlauf des Abends noch Freud und Leid bringen.
Ob wir sonst noch etwas bräuchten. Ja, stimmt. Jetzt fällt es mir wieder ein. Der WLAN Zugang.
„Wie geht denn das mit dem WLAN Zugang?“
Schweigen. Vielleicht hat sie mich akustisch nicht verstanden. Flott bilde ich ganze Sätze, wie ich es früher einmal in der Schule gelernt hatte.
„Auf der Webseite stand, daß es einen kostenlosen WLAN Zugang auf allen Zimmern geben würde.“
Zwischen den beiden Gehörgängen des Servicepersonals suchen die Wörter nach einem Muster, welches ihnen einen Sinn verleiht. Vergeblich. Verblüfft, dass ich jetzt die Features des Hotel erklären muss, setze ich verwirrt und etwas wortarm nach.
„Für den Internetzugang.“
„Ja, das müssen Sie nur in die Telefondose stecken.“
Schweigen. Diesesmal betroffen auf meiner Seite. Ich fühlte mich an zwiebelfreies Salatdressing erinnert.
Naiv starte ich einen letzten, verzweifelten Versuch mit einem anderen Buzzword vielleicht doch einen Fahndungserfolg im Gedächtnis meiner Gesprächspartnerin zu erzielen.
„Brauche ich für den Zugang ein Passwort?“
„Naja, ich bin erst seit drei Tagen aus meinem Winterschlaf zurück. Da habe ich mich noch nicht so sehr drum gekümmert.“
Warum machen es sich so viele selbst so schwer? Ein einfaches, „Tut mir leid, aber da muss ich mich leider erst selbst informieren.“, wäre so einfach. Offensichtlich gibt es überall Niederrheiner. Frei nach Hans-Dieter Hüsch, der mal sagte, „Der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären.“
Um das peinliche Thema zu beenden stelle ich nun eine einfache Frage. Achtung, lieber Leser, bitte achte auf die exakte Fragestellung, die absichtlich einen bestimmten Aspekt außer acht lässt.
„Bis wann gibt es Frühstück?“ (Na? Gemerkt?)
„Frühstück gibt es von 08:00 (oder hat sie 09:00 gesagt?) bis 10:00 Uhr!“, antwortet sie freudestrahlend, weil sie sich jetzt wieder auf sicherem Terain glaubt.
Später sagt mir Martin, daß ich einen entsetzten Gesichtsausdruck gemacht habe. Mir fällt das jetzt im Moment gar nicht auf.
„Ohhh-keyyy… Dann muß ich mir wohl doch den Wecker stellen.“, frotzelte ich.
An dieser Stelle könnte ich ein weiteres halbes Dutzend Absätze über die Lebensgeschichte und Lebensgewohnheiten der netten Dame und die allgemeine Situation im Ort schreiben. Ich beschränke mich hier auf die Quintessenz. Sie ist auch ein Langschläfer, war kurz mit einer Weinstube selbständig, aber im Ort hält sich so vieles ja gar nicht lange. So manches Mal bekommt man mehr Informationen als man haben möchte. – Vielleicht ist genau dieses mit dem Slogan auf der Webseite gemeint: Sie kommen als Gast und gehen als Freund.
Miss „Murmeltier“ zeigt uns nun unsere Zimmer. Martin hat sein Zimmer in der ersten Etage.
„So, hier, die 33 ist Ihr Zimmer.“, deutet sie im Treppenhaus stehend Richtung Zimmer 33.
Ohne den Umweg mit dem üblichen Tamtam, wie z.B. „sooo, hier ist Ihr Fernsehzimmer, dort das Schlafzimmer und hier die Dusche mit WC“, geht es im Treppenhaus weiter nach oben. Mein Zimmer ist in der dritten Etage, das habe ich schon vor Antritt der Reise mitbekommen. In der zweiten Etage bleibt Sie stehen und deutet nach oben.
„Dort direkt links ist ihr Zimmer.“
Ich bin beeindruckt von der schlichten Eleganz wie uns die Zimmer gezeigt werden. Wir schauen uns erstmal mein Zimmer an, weil wir beide sehr neugierig auf die Dachterasse sind.
Diese ist wirklich schön und durchaus locker für vier Personen zu benutzen. Wenn man’s etwas kuscheliger mag, hätten bestimmt auch acht Personen hier Platz. Der Blick von der Dachterasse ist nicht von schlechten Eltern, wenn man nicht stur geradeaus blickt, sondern nach links Richtung Strand. Hier kann man bestimmt schöne Abende mit einem Gläschen Rotwein und einem guten Buch verbringen, wenn man dafür die Muße hat.
Blick von der Dachterasse zur Travemündung
Anders sieht es mit dem Zimmer aus. Das ist auch schnuckelig, aber beim besten Willen nur mit einer Person zu nutzen. Es gibt hier ein Bett, einen zweitürigen Kleiderschrank, links mit Regalen, rechts mit Stange. Eine kleine Kommode, ein Korbsessel, einen kleinen Tisch mit dem TV, noch einen runden Glastisch und einen weiteren Korbsessel. Das „Badezimmer“ ist mit einem Vorhang vom Raum getrennt. Das Bad hat eine Dusche, ein WC und Waschbecken.
Aber am irritierensten ist die Tatsache, daß der Raum nicht waagerecht ist, sondern zur Kopfseite des Bettes leicht abfällt. Nicht viel, aber doch so deutlich, daß man es merkt. Das ist bei so alten Holzdecken oft so und zeigt wie altherrschaftlich das Haus ist. Martins Zimmer ist etwas geräumiger. Er hat ein Bad mit einer Tür. Auch ist es nicht so schmal geschnitten wie meines. Dazu hat er ein Fernseh- und ein Schlafzimmer. Hier wäre durchaus genügend Platz für zwei Personen, wenn das Zimmer ein Doppelbett hätte.
Eingecheckt machen wir uns nun endlich auf den Weg zur Nahrungsmitteljagd.
Der Strandspaziergang
Es ist 18:10 Uhr, wir haben Hunger und Martin trägt eine Sonnenbrille. Martin und ich einigen uns darauf, die popeligen Nobelrestaurants im Ort zu verachten und zum Quell des Genusses zu marschieren: Zum Fischereihafen. Wie uns gedeutet wurde, blicken wir am Strand stehend nach links.
Dort erspähen wir in nicht all zu weiter Ferne Masten. Zwei Kilometer? Wie kann man sich denn nur so verschätzen? Das sind allerhöchstens fünfhundert Meter! Lachend schlendern wir über den Strand Richtung kullinarischer Freuden. Um kurz darauf festzustellen, daß es sich bei den Masten nicht um den erhofften Fischereihafen handelt, sondern um ca. zwei Dutzend an Land gezogener Ein-Mann-Segelboote.
Das war wohl doch nichts mit fünfhuntert Metern… Na, dann mal strammen Schrittes weiter Richtung Westen. Martin war schonmal hier und weiß, daß der Fischereihafen gleich dahinten irgendwo sein muß. Wir laufen weiter am Strand entlang, unterhalb der Steilküste. Auf dem nassen Sand kann man ganz gut laufen. Es wird inzwischen ziemlich warm. Wir laufen nun schon seit einer halben Stunde und haben seichten Rückenwind, den wir nur spüren, wenn wir stehen bleiben. Meine Jacke habe ich schon längst ausgezogen und trage sie sportlich über die Schulter geworfen. Bequem ist was anderes. Aber hinter der nächsten Biegung ist der Fischereihafen und wir werden uns an den Früchten Netpuns laben können. Eine weitere halbe Stunde später ist der Sand inzwischen zum Kies geworden. Außerdem mußten wir über einen Baum klettern, der von der Bruchkante der Steilküste herabgefallen war und quer über den Strand bis ins Wasser ragt.
Wir werden von einer Familie mit Kindern im Grundschulalter überholt. Hinter der nächsten Biegung ist kein Fischereihafen. Dafür weitere vier Bäume, die wir queren müssen. Gegen die tiefersinkende Sonne sehen wir die Kinder als Schattenrisse im hintersten Baum turnen. Bis dahin sind es bestimmt noch dreihuntert Meter. Und hinter der Biegung sind wir bestimmt am Ziel – dachten wir. Das Waldsterben hat zwar aufgehört, dafür ist aus dem Kies inzwischen Geröll geworden. Wir fühlen uns in eine skurile Situation versetzt, als wir am Stand kleine Götzen sehen, die alle paar Meter von einem künstlerisch begabten Menschen aufgestapelt wurden.
Wir machen ihm und ihnen zu Ehren ein paar Fotos und hoffen, daß die Steinhaufen kein böses Omen sind und die Kinder mit blutverschmierten spitzen Zähnen, Messer und Gabel hinter der nächsten Biegung auf uns warten. Dies geschieht – zugegebenermassen wie erwartet – nicht so. Der Anblick ist aber nicht weniger entmutigend. Wir sehen Steilküste, die laut Martin schon seit Minuten garantiert niedriger wird und damit zum Ende kommt, und endlosen Strand. Einzig die Tatsache, daß es hier an der Ostsee keinen erkennbaren Tidenhub gibt – ich sehe uns schon wurzelumkammernd an der Steilküste im Wasser dümpeln – , macht Hoffnung. Martin fällt ein, daß es hier eine Holztreppe mit Aufgang zur Strasse oben an der Steilküste gibt. So langsam wäre solch eine Rettung nicht schlecht, denn es wird bald sehr dunkel.
Garantiert ist die Treppe hinter der nächsten Biegung. Der Gedanke an eine richtige Strasse, respektive einen festgefahrenen Feldweg, läßt meine Füße vor Freude doppelt so schnell durchs Geröll pflügen. Neben dem Gefühl manchmal würden sich die Fußsohlen verkrampfen, weil ich so tolle „Dandy“-Schuhe anhabe, haben inzwischen Achillessehne, Waden, Oberschenkelmuskulatur und Arschbacken mit in den Chor der schmerzenden Organe eingestimmt. Doch hinter der nächsten Kurve – ist – Land! – äh – die Holztreppe! „Schnell“ hinauf – heraus aus dem Meer der Steine. Eine Wohltat für Körper und Seele. Und man kann von hier aus schon das Ziel erkennen.
Nur noch eineinhalb Kilometer bis zum Ort. Der ist für einen Fischereihafen erstaunlich groß und zieht sich auch noch Kilometer an der Küste entlang. Martin hat’s dann aufgelöst.
„Das Hochhaus da ist am Timmendorfer Strand.“
Wir sind aber so gerade eben noch in Niendorf. Dort gibt es, direkt gegenüber dem Hafen, ein tolles Restaurant: Die Fischkiste. Hier nehmen wir unser, seit zwei Stunden überfälliges, Abendessen ein und machen uns so langsam auf den Rückweg. Mir ist jetzt schon schlecht, wenn ich an den Rückweg denke. Es ist nun 22:15 Uhr, es ist dunkel und ich spüre leider meine Beine wieder. Doch frisch losmarschiert ist halb angekommen, oder so. Doch schon nach wenigen Schritten stelle ich fest: Ich werde niemals im Hotel ankommen. Ich quäle mich noch ein paar hundert Meter bis zu einer Telefonzelle, dann werfe ich das Handtuch, drücke Martin mein Handy in die Hand und jammere: Ruf bitte sofort ein Taxi!
Sieben Kilometer und eine Viertelstunde später sind wir wieder vor unserem Hotel. Das Taxi hat keine zehn Euro gekostet. Wenn der Fahrer gewußt hätte was ich für diese Fahrt gegeben hätte!
Die Stufen zum Eingang sind eine Herausforderung. Zum Erklimmen dieses Gipfels brauche ich jetzt mindestens doppelt so lange wie bei unserer Ankunft. Ich freue mich schon auf mein Zimmer. Dort möchte ich noch kurz die Kamera am Notebook auslesen. Vielleicht komme ich ja auch per WLAN ins Internet. Doch vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Welcher Blödmann wollte eigentlich das Zimmer mit Dachterasse? Oben angekommen stelle ich fest, daß die Tasche mit dem Notebook nicht zu dem Nötigsten gehört hat, was ich beim Check-in aus dem Auto klaubte. Das Teufelchen auf meiner Schulter hat nach kurzer Diskussion den Kürzeren gezogen – der Klügere gibt nach – und ich trabe nach unten und wieder nach oben. Für heute habe ich die Faxen mit diesem ewigen Rumgelaufe dicke. So ihr Götter, der Schweiß ist geflossen, jetzt habe ich mir den Erfolg verdient.
Also den Notebook herausgekramt und eingeschaltet. Hmmm. Startet nicht. Ich erinnere mich daran, daß der mal Probleme mit der Festplatte hatte. Nochmal starten. Ja, genau, jetzt höre ich es. Die Festplatte läuft kurz an, kann aber nicht auf die notwendige Geschwindigkeit hochdrehen und schaltet sich wieder ab. Zum Glück hatte ich vor Monaten beim letzten Start zur Sicherheit ein Backup gemacht. Deshalb läßt mich der Zustand der Platte nach diesem Tag absolut kalt. Nach einer halben Stunde wiederholter Einschaltversuche gibt sich die Festplatte einen Ruck und die Kiste startet doch noch. Also werde ich jetzt mal versuchen das WLAN ans Fliegen zu kriegen. Netterweise habe ich bei meiner Rückkehr einen handschriftlichen Zettel an meiner Zimmertüre gefunden, auf dem Stand in etwa,
„Bitte geben Sie für den Internetzugang 642544208abdf98254bff3f3 ein.“
Nach einer weiteren halben Stunde gebe ich die Versuche mich anzumelden auf. Ich habe keine Idee worauf diese Misere zurückzuführen ist: Schlechter Empfang, Probleme mit der Notebookhardware oder ein falsches Kennwort. Aber das ist mir nun alles schnurzpiepe egal, denn morgen ist auch noch ein Tag.
Das Frühstück
Unerträglich früh klingelt der Wecker. Schnell geduscht und nur zehn Minuten zu spät mit Martin zum verabredeten Frühstückstermin, der um 09:00 Uhr gewesen wäre, getroffen. Das Frühstücksbuffet ist sehr reichhaltig. Es gibt mindestens drei verschiedene Brötchensorten, Marmorkuchen (wer’s mag), Wurst- und Käseaufschnitt, kleine Frikadellen, Senf, Majonaise, Multivitaminsaft, Orangensaft, Milch, Tee, Kaffee, Müsli, und vieles mehr.
Im Frühstücksraum müssen Kameras versteckt sein, denn wenn das hier nicht alles Schauspieler sind, dann möchte ich gerne wo anders sein. Im Raum, mit rechteckigem Grundriss, sitze ich gegenüber die Türe an einem Zweiertisch an der Wand. Von hieraus blicke ich aus dem Fenster, quer über den Nachbartisch hinweg. Dort sitzt ein Pärchen vielleicht Mitte Fünfzig, Anfang der Sechzig. Er hat einen ruhigen Bürojob in einer gehobenen Position. Sie ist Hausfrau und Mutter. (Ich weiß, dass sie Mutter sein muß, denn sonst hätten sie einen Hund mit am Tisch gehabt.) Beide geben besonders acht auf ihr Äußeres und spreizen niemals den kleinen Finger beim Trinken ab.
Ein weiteres Pärchen – etwas jünger – sitzt schräg hinter mir. Sie, mit krausem, dunklem, langem Haar und leicht knubbeliger Nase, bedient sich öfters vom Buffet, er überhaupt nicht. Entweder hat er Probleme mit dem Magen, oder sie bringt ihm das Essen an der Tisch. Beide tragen Freizeitkleidung – nicht zu sportlich, eher leger. Offensichtlich fühlt sie sich hier so richtig zuhause. Wie schön für sie. Er macht einen ruhigen und leicht verkniffenen Eindruck, der durch die schmalen Lippen und die zusammengekniffenen Augen entsteht.
Oh – hier machen welche einen Mutter-Kind-Urlaub. Mutter ist schon ergraut, er auch. Schau! Sind sie nicht harmonisch?
Und da! Da machen welche Mutter-Kind-Urlaub mit Vater!
Neben Martin und mir ist noch ein anderes junges Pärchen hier. Aber vermutlich ist ihre Beziehung etwas anders gelagert als bei uns.
Wir eilen uns das Frühstück zu beenden, da wir doch an der „Big Brother Vision“ festhalten und gehen möchten, bevor uns doch noch etwas peinliches passiert, von dem man nachher im TV etwas zu sehen bekommt.
Bevor wir uns auf den Weg zur Schmiede im Freilichtmuseum Molfsee machen, setzen wir uns nochmal kurz auf die Dachterasse und polieren unsere Schwerter. Wir wollen verheimlichen, dass wir kurz – nur zu rein wissenschaftlichen Zwecken – mit dem Winkelschleifer dran waren. Der hat zwar nicht viel gebracht, dafür muss man jetzt von Hand umso mehr nachschleifen um diese hässlichen Maschinenspuren zu beseitigen. Nach einer Dreiviertelstunde haben wir keinen Bock mehr und hoffen auf das schummrige Licht in der Schmiede.
Auf, zur Schmiede!
Jetzt geht’s lo-os! Jetzt geht’s lo-os! Kiel! Kiel! Wir fahren nach Berlin Kiel!
Da wir dieses Jahr unangekündigt auflaufen werden, wollen wir wenigstens Devotionalien, in Form von Getränken, mitbringen. Wir decken uns im ALDI in Molfsee mit zwei Sixpacks 1,5 Liter Apfelschorle ein. An der Kasse sehe ich noch österliche Süßigkeiten. Geil! Mit Spielzeug! Geiler! Für Jungen oder Mädchen! Sensationell! Da packe ich freudestrahlend zwei Stück für die beiden Arnes aufs Band! Natürlich für Mädchen. Das Schmieden ist schon hart genug.
In der Schmiede angekommen erblicken wir Arne P. mit einem Schüler. (Wir erinnern uns: „Always two there are; no more, no less; a master and an apprentice.„) Christoph hat einen Damastschmiedekurs gebucht und macht sich heute ein Damastmesser.
(Dank an dieser Stelle an Christoph für die Bilder, die er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.)
Arne erblickt uns und ist erfreut uns wiederzusehen. Ich bin versucht zu sagen, „So geht es jedem“, lasse es aber. Wegen des hohen Durchsatzes an „Schülern“ in der Schmiede ist es nicht verwunderlich, daß ihm unsere Namen entfallen sind. Ein Umstand, den bestenfalls Weibsfolk stören würde. Männer sind hier pragmatischer und überhaupt – männlicher. Früher hätte ich eine knackige Bemerkung, wie z.B. „Ey, Du stinkender Schmied, ich zeig Dir gleich mal wie wir heißen! Wart’s nur ab!“, losgelassen. Inzwischen bin ich aber ruhiger und weiser. – Naja, auf jeden Fall bin ich älter. Solange es aber nicht absolut klar ist, daß das Gegenüber diese Art der freundschaftlichen Kommunikation korrekt zu interpretieren weiß, lasse ich solche ironischen Spitzen lieber bleiben. Etwas, bei dem ich mir nicht sicher war wie es ankommt und was Martin auch kritisch beäugt hat, waren die Devotionalien. Wie würde Arne auf diese Packung „Schokolade mit Spielzeug (für Mädchen)“ wohl reagieren? Würde er uns erbost hinausjagen ins finstere Schneetreiben mit nichts anderem an als unserem nackten Leben? Nein! Das tat er nicht. Das Geschenk kam hervorragend an. Somit ist also auch die Humorkompatibilität getestet. D.h. beim nächsten mal werde ich ihm kommen mit, „Ey, Du stinkender Schmied, … Wart’s nur ab!“
Mensch, die beiden Arnes haben hier aber einiges umgebaut. So ist der hintere Teil, mit den Feuerstellen, nun durch einen Tresen und eine Kette abgetrennt. Leider ist diese Maßnahme notwendig geworden, weil zu viele Leute die eindringlichen Bitten, vorsichtig zu sein und ein paar Schritte zurück zu gehen, nicht befolgt haben. Wie sagte schon Saruman? „Und geht es so nicht, dann geht es anders.“ Also gibt es jetzt eine Trennung des vorderen Teils der Schmiede vom Betriebsteil. Das schafft die leider notwendig gewordene Distanz. So, wie es vorher war, hat es mir zwar besser gefallen, weil es nicht dieses Baumarkt-Zuschnitt-Flair hatte, aber wenn es wirklich notwendig ist um die Leute mit Ihrer Ignoranz vor sich selber zu schützen, muß es eben sein.
Eigentlich sind wir nur zum posen und schwätzen hierher gekommen. Doch nachdem Arne uns mehrfach darauf hingewiesen hat, daß dort noch ein Feuer frei wäre, machen wir uns doch noch an die Arbeit. Nachdem ich die Idee geboren habe, in der verbleibenden Zeit eine Rose zu schmieden, hatte mich plötzlich der Ehrgeiz gepackt. Martin hat zwei Rosen zum posen mitgebracht. Wenn ich so eine schmiede, habe ich doch gleich ein schönes Mitbringsel für meine Liebste. Also geht’s frisch ans Werk. Martin erklärt mir jeden Schritt und ich bringe die Männerknete schön in Form. Leider „zieht“ das Feuer nicht richtig. Und irgendwie kann man da rumstochern wie man will – da kommt einfach keine Schlacke raus. Geraume Zeit später ist die Blüte der Rose mit leichten Schwierigkeiten fertig. „Leichte Schwierigkeiten“ bedeutet, daß mir das Material mehrmals zu heiß geworden ist, so daß es leicht funkensprühend aus dem Feuer kam. Es ist also schon etwas Material verbrannt. Das sollte eigentlich nicht passieren. Weil dieses meine erste Rose ist, habe ich auch keine Erfahrung, wie man das überhaupt anstellt. Deshalb habe ich Schwierigkeiten die Blüte in Form zu bekommen. Mir ist dabei das letzte Blütenblatt quer unter die Blüte gerutscht. Versucht das dann mal dort wieder wegzubekommen. Mit ’nem Hammer kann man das Material schließlich nur wegschlagen, aber nicht ansaugen. Arne und Martin geben mir schon unmißverständlich zu verstehen, daß diese Rose wohl verloren ist. Das mag sein, aber ich bin sehr motiviert mein Bestes zu geben. So schaffe ich es immerhin die Blüte wieder in Form zu bringen. Leider bricht mit jetzt der Stielansatz ab, weil der Übergang von der Blüte zum Stiel zu dünn geworden ist und ich wegen der Deformation der Blüte alles mehrfach wieder erwärmen mußte. Das ist ärgerlich, aber dann wird’s halt eine zweiteilige Rose, statt eine aus einem Stück. Ist zwar nicht so cool, aber letztendlich doch egal. Also wird jetzt weiter gekämpft. Doch die Schlacht hat mir viel mentale und körperliche Energie geraubt. Ich bin jetzt etwas demotiviert und unkonzentriert. Also versäge ich das mit dem Stengel und dem ersten Roseblatt daran. Im Feuer sind aus einem Teil schon wieder zwei geworden. Mist! Ich geb’s auf und begnüge mich mit der Blüte und dem Wissen Erfahrung gesammelt zu haben, so daß ich es beim nächsten Versuch besser machen kann. Also: Feuer aus, Nikolaus. Etwas ärgerlich (über mich selbst) bin ich beim sauber machen der Feuerschale. Dort bin ich auf den Grund gestoßen, warum der Luftzug nicht ordentlich funktionierte. Ein bratpfannengroßer Schlacke…see, möchte ich schon sagen, hat mir heute das Leben schwer gemacht. An dieser Stelle ist der Tag für mich gelaufen und ich schalte mein Hirn endgültig in Standby. Schließlich bin ich hier auch zu Erholung.
Rücksturz nach Travemünde
Inzwischen ist es schon nach 20:00 Uhr. Wir müssen jetzt los um in Travemünde schnell zu duschen und noch vor 22:00 Uhr in einem Restaurant zu sein. Kurzum, wir sind um Viertel vor zehn im Hotel und dementsprechend um fünf nach zehn wieder in der Stadt. Wie dumm. Hätten wir nicht geschmiedet, hätten wir uns nicht so lange aufgehalten und hätten uns nicht so dreckig gemacht, als daß wir hätten duschen müssen. Doch es kommt immer anders als man denkt. Und jetzt stehen wir hier. Ausgepowert, angemüdet und vor allem hungrig. Jetzt ist guter Rat teuer. Wir schlendern – Zeitdruck haben wir ja nicht mehr – in Richtung Fischereihafen – dem richtigen. Und finden schließlich das „Restaurante Il Gabbiano“. Geil, hier haben sie bis 24:00 Uhr geöffnet. Also hinein. Empfangen werden wir hier – in Travemünde hat man’s aber auch mit den Empfängen – von einem überdrehten Kellner, der in seinem früheren Leben offensichtlich Animateur im Robinson Club gewesen ist. Immer sehr freundlich, aber auch immer sehr fröhlich. Hauptsache, hier gibt’s was zwischen die Kiemen und nicht auf die Zähne. Doch Rat und Essen sind hier nicht teuer, also schauen wir diesem Gaul auch nicht so genau ins Maul. Für meinen – inzwischen zugegebenermaßen verweichlichten – Geschmack war das Essen zu deftig. Egal. Müde und satt geht’s in die Heia. Hoffentlich gibt das Steak keine Albträume.
der Blick von der Dachterasse auf die „Passat“ erinnert mich an die Goonies
Der Abreisetag
Nach dem Frühstück, welches sich wie jenes am Vortag gestaltete, checken wir aus unserem Hotel aus und machen noch ein wenig die Gegend unsicher. Eigentlich war das Auschecken ereignislos. Doch eines habe ich mir noch aufgehoben. Schon allein deswegen um ein kleines Gegengewicht zum pompösen Check-In zu liefern. Im Hotel gab es in der Empfangshalle eine „Hall of Fame“. Die Galerie schaut sich wie das Who-is-who des an. Hier reiht sich Ingrid Peters an Roy Black, Bill Ramsey an Kristina Bach, Paulchen Kuhn an den sabbernden Hund der Eigentümerin, Peter Kraus an Cindy Berger und Joan Faulkner.
Ehe wir den sicheren Hafen verlassen und uns auf die Reise in ungewisses Hinterland gen Heimat machen, möchten wir die verbleibende Zeit nutzen um noch etwas von der Stadt zu sehen. Wir parken unseren Wagen beinahe auf heiligem Boden, nahe der Kirche. Von hier aus geht’s erstmal mit der Fähre über die Trave. Ich mag Fähren. Hier soll es einen schönen Sandstrand geben. Auf dem Weg an der Trave entlang Richtung Ostsee kommen wir an dem Segelyachthafen vorbei. Hier steht eine Bude, in der ein netter Mann unter anderem Softeis verkauft. Da wir gaaanz gemütlich durch die Gegend schlendern, bekommen wir mit, wie einem kleinen Kind der Eisballen aus dem Hörnchen flutscht. Sofort hat der großherzige Kaufmann, dessen Namen ich leider nicht behalten habe, dort in der Bude gesagt, „Gib mir mal das Hörnchen her. Das Eis habe ich wohl nicht richtig dort hinein gemacht.“ – Eine großartige Geste. Bitte, liebe Leser, besucht den Mann mit dem Softeis! Es ist auch wirklich ganz vorzüglich, wie Martin und ich durch einen Selbstversuch zu bestätigen wissen.
Die Passat
Weiter geht’s Richtung Strand. Oh Mann, jetzt friere ich aber doch ein bisschen. Die Sonne scheint zwar, aber es ist noch vormittags und der Wind geht kalt. Das Laufen hält ein wenig warm. Spontan entschließen wir uns die „Passat“ zu besichtigen. Das ist schon ein mächtig großes Schiff. Wirklich beeindruckend. Wir schließen uns einer Führung an, der just in dem Moment startet, als wir an Bord kommen. Erst nach deren Ende bemerken wir, daß man diese eigentlich bezahlen muß. Nunja, statt dessen werfen wir ein wenig Geld zum Erhalt des Schiffes in die bereitgestellte Sparbüchse. Die Führung dauert über eine Stunde. Danach haben wir reichhaltiges Wissen angehäuft, welches aber schnell in den Fluten der Gedächtnisströme weggespült wurde. Es dümpelt jetzt irgendwo in den hintersten, dunkelsten Ecke des Hirns und weigert sich dagegen wieder ans Licht gezerrt zu werden. Doch auch die hinterste Ecke ist mal voll und so können sich nicht alle Daten verstecken. [braindump on] Die Pamir war nicht das Schwesterschiff der Passat. Es gehörte zwar zur gleichen Reederei und war auch eine Viermastbark, wurde aber früher gebaut als die Passat. Von einem Schwesterschiff redet man nur, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind, wie z.B. daß das Schiff mit der gleichen „Blaupause“ gebaut wurde. Die beiden Schiffe waren die letzten deutschen Handelssegler. Die Pamir ging unter. Nur einzelne überlebten. Der Passat wäre beinahe das gleiche Schicksam widerfahren. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden die Trimmtanks auch mit Getreide gefüllt. Die Ladung ist auf See verrutscht, da früher die Fracht nicht so gut gegen verrutschen gesichert wurde. Das Schiff hatte so eine Schräglage, daß die Rahen am Ende schon ins Wasser ragten. So fuhr das Schiff noch etliche Stunden in denen der Kapitän ein Experiment durchführte. Er hatte die Befürchtung, daß die Trimmtanks, welche dicht abgeschlossen sind, platzen würden, wenn er zu dem dort gelagerten Getreide Wasser hineinpumpen würde. Um das zu testen nahm er ein Glas mit Schraubdeckel, füllte es mit Getreide und Wasser und schraubte es zu. Das Glas hielt auch nach drei Stunden noch. Also lies er Wasser in die Trimmtanks pumpen und konnte so das Schiff retten. [braindump off] Das war genug Kultur für heute. Also verlassen wir die Passat wieder und spazieren weiter.
und der ganze Rest
Am Strand angekommen entdecken wir einen königlichen Duft. Eine Mischung aus Salzwasser, Powerboatabgasen und totem Fisch. Hier darf man keinen empfindlichen Magen haben. Der Gestank kommt hauptsächlich von toten Muscheln, die hier von der Stadt mit Baggern zu kleinen Hügeln aufgetürmt wurden. In Memorandum an den Spaziergang vorgestern Abend achten wir nun darauf keine all zu weite Strecke in einer Richtung zurück zu legen. Bald schon kehren wir um und machen uns auf die Rückfahrt.
Diese ist geprägt durch Baustellen, Rückreiseverkehr und Staus. Viel Zeit zum musikhören. Als Rettung in höchster Staunot sei allen baustellengeplagten Auto-Mate-n von den Ärzten „Jazz ist anders“ empfohlen. Wenn die Klimaanlage versagt, der LKW neben einem die Rußpartikel durch die Gummidichtungen der Türen drückt und die Blase von unten kräftig dagegen hält, dann ist es genau die richtige Zeit für eine kleine musikalische Reise in den Wahnsinn von Farin, Bela und Rod.
Acht Stunden nach Fahrtantritt haben wir wieder die Heimat erreicht und ein weiteres kleines Abenteuer hinter uns gebracht. Bis zum nächsten Mal.
Dank auch an Martin, der mir einige Bilder zum Blogeintrag beigesteuert hat (Götzenbilder, Passat bei Tag)